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Rebellische „Mausi“
Kultur

Rebellische „Mausi“

Vor 100 Jahren ist Friedelind Wagner in Bayreuth geboren worden, vor 25 Jahren ist sie in Herdecke gestorben. Wenn Sie nun auf Friedelind eine Laudatio halten müssten – was würden Sie als ihre eigentliche Lebensleistung bezeichnen?

Sie selbst würde spontan ihre Bayreuther Meisterklassen nennen, da bin ich mir sicher, und da gäbe ich ihr recht. Diese liefen von 1959 bis 1966, und ihr Herzblut hing daran. Ohne professionelle Hilfe oder institutionalisierte Finanzierung schaffte sie es über mehrere Jahre, angehende Künstler und Künstlerinnen nach Bayreuth einzuladen, wo sie von ausgezeichneten Regisseuren und Musikern ausgebildet wurden. Friedelinds großartiges Projekt scheiterte letztlich daran, dass Wolfgang Wagner nach dem Tod seines Bruders nicht mehr bereit war, es zu stützen. Man muss auch ihren Mut, die Familie und ihre Heimat zu verlassen und in den USA gegen die NS-Politik zu kämpfen, als eine Lebensleistung bezeichnen.

Und was war die größte Tragik bzw. das größte Unglück ihres Lebens?

Dass sie nach dem Kriegsende keine Möglichkeit hatte, bei den Festspielen mitzuarbeiten. Die Brüder bildeten sich dort künstlerisch fort mit langen Proben, Lichtexperimenten und der Verpflichtung von Mitarbeitern für Bühnenbild, Kostüm und Maske, während sie bei ihrer einzigen Regieleistung in Deutschland („Lohengrin“ in Bielefeld) nicht annähernd solche Möglichkeiten hatte. Sie und ihre Schwester Verena wurden systematisch aus der Leitung der Festspiele ausgebootet. Die Liegenschaften und das wertvolle Archiv gehörten zwar der gesamten Familie, aber die Schwestern hatten keinen Zugriff auf die Festspiele. Ich sehe auch Friedelinds andauernde Herumreiserei im letzten Abschnitt ihres Lebens als tragisch an: Es zeigt ihre Heimatlosigkeit. Sie war entwurzelt worden und wirkte umgetrieben, nirgends zu Hause.

Sie haben für Ihr Buch „Friedelind Wagner – Die rebellische Enkelin Richard Wagners“, Leben und Wirken dieser Frau gründlich durchforstet.  Wie muss man sich dieses Leben vorstellen – neben zwei starken, entschlossenen Brüdern und als „Mädchen“ in diesem sehr deutschen, machtbesessenen Clan? War sie glücklich?

Ich denke nicht. Menschen, die sie persönlich kannten, nennen ihren Humor, die Lust am Spott sowie ihr leidenschaftliches Naturell. Als Kind war sie wild und wischte alle Versuche der Mutter beiseite, sie „mädchenhaft“ zu erziehen. Der Streit mit den Brüdern wurde heftig, als sie sich gegen die Familie stellte und Deutschland verließ. Ihr Verhältnis zu den Brüdern war ambivalent – einesteils war sie nicht bereit, deren NS-Nähe nach dem Krieg anzuprangern, andernteils war sie tief verletzt, als die beiden sie aus der Mitarbeit in Bayreuth ausschlossen. Sie hat sie aber nie deswegen öffentlich angegriffen. Als Wolfgang ihre Meisterklassen für beendet erklärte, brandete allerdings eine Feindschaft auf, die sie oft an die Öffentlichkeit zog, da hatte sie keine Hemmungen.

Friedelind Wagner führte zeitlebens den Spitznamen „Mausi“. Das klingt harmlos, nett, brav. Gleichzeitig aber war sie so etwas wie die Rebellin aus dem Hause Wagner, die es nicht zulassen wollte, dass die Festspiele zu Hitlers Hoftheater verkommen ...

Die Familie nahm „Mausi“ zunächst nicht sonderlich ernst. Als sie sich aber nach dem Einmarsch der Deutschen in Polen den Mund nicht verbieten ließ und die Familie in Briefen angriff, war es aus mit der Freundschaft. Fortan wurde sie auch vom NS-Regime als ernstzunehmende Gegnerin eingestuft. In England wurde sie verhaftet und auf der Insel Man sowie in London gefangen gehalten, bis Arturo Toscanini sie nach Argentinien verfrachtete und ihr mit Geld aushalf. Großen Ärger mit der Familie gab es nach der Publikation ihrer Autobiografie „Heritage of Fire“ (1945), die als „Nacht über Bayreuth“ in Bern auf Deutsch erschien und die Wiedergabe von Gesprächen der Familienmitglieder mit Adolf Hitler in lockerer Form enthält, wobei man erkennt, wie sehr sie von dem „Führer“ eingenommen waren.

So kritisch sie den Festspielen und der eigenen Familie gegenüber war – sie wollte doch mit beiden nicht brechen. Es zog sie immer wieder nach Bayreuth. Wie erklären Sie sich das?

Eine gute Frage, die ich eigentlich nur mit ihrer Widersprüchlichkeit, ihrer Ambivalenz beantworten kann. Trotz eines riesigen Bekanntenkreises war ihr die Familie wichtig. Bayreuth besaß als kulturelle Schaltzelle eine unglaubliche Sogkraft, sie war als Kind bei allen Proben dabei, war mit den Künstlern vertraut, kannte jeden Takt der Werke ihres Großvaters auswendig und konnte davon nicht lassen. Es zog sie tatsächlich zurück zu diesem Ort, wo sie auch immer durch ihre frappierende Ähnlichkeit mit dem Großvater beim Publikum auffiel. Sie fühlte sich auch durchaus als Teil der „Royal Family“. Wieland wurde von ihr als Künstler verehrt, Wolfgang verachtet, aber sie suchte die Liebe ihrer Mutter. Sie liebte auch die Mitglieder der Urenkel-Generation, denen sie eine Chance als Festspielleiter gegönnt hätte.

Friedelind führte ein unstetes Leben. Sie flüchtete in die Schweiz, lebte in den USA, hatte in jungen Jahren kühne Pläne und großen Enthusiasmus, aber wenig Geld und selten Erfolg – meinen Sie, sie selbst war zufrieden mit ihrer Lebensleistung?

Nein. Sie hatte sich sehr hohe Ziele gesetzt, ohne je eine richtige Ausbildung genossen zu haben – hinzu kam noch der Name Wagner, der Maßstäbe setzte. Das Attribut der Mittelmäßigkeit hätte sie kaum ertragen. Ich glaube, sie war damit beschäftigt, das Beste aus allem zu machen. Nie zerbrach sie an etwas, immer stand sie wieder auf und machte weiter.

Bezogen auf die Festspielhistorie hat sie – ihre Idee der Meisterklassen und eine einzige Inszenierung, den Lohengrin“ in Bielefeld, ausgenommen – kaum Spuren hinterlassen. Hätte sie gerne mehr Einfluss gehabt?

Sie wäre sehr gerne in die Festspielleitung eingestiegen und hätte professionell mitreden können bei der Wahl von Regisseuren und Mitwirkenden und bei der Programmplanung, denn sie hat lebenslang regelmäßig Opernaufführungen besucht und knüpfte zahllose Kontakte. Auch hätte sie gerne ein Wörtchen mitzureden gehabt. Allerdings hatte sie große Defizite im kaufmännischen Bereich, hätte also Wolfgangs Stelle nie abdecken können. Ideal wäre eine Festspielleitung zu dritt gewesen; bei ihrer Streitlust wäre das vermutlich nicht lange gut gegangen.

Ihr ursprünglich bei Piper erschienenes Buch war lange vergriffen. Nun ist es im Olms-Verlag neu erschienen. Und es gibt in diesem Sommer in Bayreuth ein Symposion zu Friedelind Wagner. Gibt es, bezogen auf ihre Biografie, ihr Wirken und ihre Bedeutung für Bayreuth eigentlich noch viele offene Fragen?

Es gibt bis heute noch immer keine Friedelind-Wagner-Straße, was man vor allem wegen ihres Protestes gegen die NS-Politik endlich realisieren sollte. Und es wäre an der Zeit, dass Friedelinds Nachlass öffentlich zugänglich gemacht wird. Der Leiter des Bayreuther Richard-Wagner-Nationalarchivs, Dr. Sven Friedrich, bezieht sich bei seiner Weigerung, die Übernahme von Nachlässen voranzutreiben, auf die Satzung der Richard-Wagner-Stiftung, in der die Aufnahme der Nachlässe der nachfolgenden Wagner-Generationen nicht vorgesehen ist. Eine Änderung dieser längst überholten Regelung wäre jederzeit möglich. Wie die Forschung von diesem Schritt profitieren würde, zeigt Friedelind Wagners Nachlass, der in Düsseldorf liegt. Er enthält Korrespondenzen mit künstlerischen Berühmtheiten wie Wilhelm Furtwängler, Arturo Toscanini oder Walter Felsenstein. Da dieses Konvolut von höchster zeit- und kulturgeschichtlicher Bedeutung ist, kann man nur hoffen, dass das Nationalarchiv die Initiative ergreift, um mit den Erben zu einer Einigung zu kommen. Die Forschung muss endlich Zutritt zu den Nachlässen der Wagner-Erben erhalten.

Gert-Dieter Meier