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Mitten in der Zauberberg-Blase
Ein eingespieltes Team (von links): Tobias Kratzer (Regie), Rainer Sellmaier (Bühne/Kostüme) und Manuel Braun (Video)
Kultur

Mitten in der Zauberberg-Blase

Tobias Kratzer inszeniert „Tannhäuser“ und bespielt auch den Festspielpark

Das dürfte aufregend werden: Mit Tobias Kratzer -debütiert in diesem Jahr einer der gefragtesten Opernregisseure auf Bayreuths Grünem Hügel. Zum ersten Mal in der 143-jährigen Festspielgeschichte wird seine mit Spannung erwartete „Tannhäuser“-Inszenierung nicht nur im Festspielhaus über die Bühne gehen, sondern es wird auch, in der Pause, der Festspielpark bespielt. Gert-Dieter Meier sprach mit dem Regisseur über Wagner und Bayreuth.

Herr Kratzer, Wagner hat Sie fest in seinen Fängen. Nach „Tannhäuser“ 2011/12 in Bremen, den -„Meistersingern“ und der „Götterdämmerung“ in -Karlsruhe sowie dem -„Lohengrin“ in Weimar steht nun also abermals -„Tannhäuser“ an. Aber nicht irgendwo, sondern am Kraftort des Meisters. Was macht dieser Wagner mit Ihnen?
Bisher – klopfen wir ruhig dreimal auf Holz – hat er mir Glück gebracht. Eines hat logisch das andere ergeben. Als Regisseur ist man ja ein stückweit auf Angebot und Nachfrage angewiesen, und da hat es sich gut -gefügt, dass manche Häuser in Wagner und mir ein funktionierendes Duo sahen …

Kratzer, der Heilsbringer?
So weit wollen wir nun wirklich nicht gehen. (lacht) Aber wir pflegen eine ganz gute Arbeitsbeziehung miteinander, der Wagner und ich.

Und was machen Sie mit Wagner?
Ich versuche, gerade weil ich in wenigen Jahren schon viel Wagner gemacht habe, immer wieder einen neuen Zugang zu seinen Stücken zu finden. Das hält Wagner auch gut aus. Eine Idee oder ein Erfolgsmodell immer wieder zu reproduzieren, weil es gut läuft, das fände ich langweilig. Meine Inszenierungen sind häufig sehr unterschiedlich – und überraschen das Publikum, das mit bestimmten Erwartungen gekommen ist. Ich überrasche mich im Übrigen auch schon mal selbst.

Und wie kann so eine Selbst-Überraschung aussehen?
Es kommt bei mir in der Konzeptionsphase relativ oft vor, dass ich mehrere gleichwertige Vorstellungswelten habe, die gut zu dem Stück passen. Dann kann ich mich häufig nicht entscheiden, welchen Weg ich gehen soll. In diesen Fällen brauche ich dann den Dramaturgen mit dem Blick von außen. Bei meinen „Meistersingern“ in Karlsruhe habe ich sehr spät, nämlich erst in der Woche nach der Bauprobe, mein gesamtes Konzept umgeworfen. Das war aber der Extremfall einer sehr späten Umsteuerung.  Sonst wäre womöglich der Verlauf meiner Wagner-Karriere anders verlaufen. (lacht) Denn diese „Meistersinger“ gaben wohl bei Katharina Wagner den Ausschlag, mich für Bayreuth zu verpflichten.

Wenn Sie einer Schulklasse in drei, vier Sätzen beschreiben müssten, was Ihnen am „Tannhäuser“ wichtig erscheint bzw. warum es Sie reizt, das Stück in einer neuen Machart auf die Bühne zu bringen, was würden Sie den Schülern sagen?
Dass es in dem Stück um zwei Lebensentwürfe geht, die Wagner sich beide für sich hätte vorstellen können: entweder ein politischer Umstürzler zu werden, ein Anarchist, ein Revolutionär – oder eben ein anerkannter Großkünstler und Komponist.
Satz zwei: Dass er Angst davor hatte, in beiden Fällen in seinem eigenen Leben zu scheitern – und deshalb die Modelle des Scheiterns, weil er selbst nicht scheitern will, seiner Figur Tannhäuser auflädt.
Satz drei: Dass er zu diesem Stück eine ganz großartige Musik komponiert hat, die einen in die Geschichte reinzieht.

Und wenn ein Erwachsener nun nachfragen würde, was Sie mit der Bezeichnung „Romantische Oper“ anfangen können, mit der Wagner den „Tannhäuser“ umschrieben hat?Dann würde ich sagen, dass Wagner dieses Genre zwar übernimmt, aber eigentlich für seine politischen Zwecke kapert. Wagner greift zu dem Schema Hure und Heilige, das einem heute etwas abgeschmackt vorkommt und lädt es nochmal völlig neu auf. Einem Erwachsenen würde ich auch raten, parallel zum „Tannhäuser“ die frühen Revolutionsschriften von Wagner zu lesen und sich überraschen zu lassen, wie sehr diese theoretischen Schriften den Libretti ähneln und wie viele Berührungspunkte es da gibt. Aber das würde ich einer Schulklasse nicht zumuten wollen.

Wird es also ein politisches Stück, das Sie auf die Bayreuther Bühne bringen?
In Teilen, ja. Und der Zuschauer wird auch, aufs Notwendigste eingedampft, mit der Weltanschauung des jungen Wagners konfrontiert werden.

Es geht auch um Erlösung durch Liebe …
Darum geht es ja bei Wagner oft und immer wieder … (lacht)

Wie lange haben Sie über dieses Wagner’sche Leitmotiv nachdenken müssen?
Ich habe ja nun schon viele Wagner-Frauenfiguren durch ihre Welten geführt. Und dabei stellt man fest, dass die Frauenbilder des späten Wagners – also etwa Eva oder Brünnhilde, die ich in meiner Inszenierung nicht nur gegen den Vater, sondern auch gegen den Komponisten habe aufbegehren lassen – deutlich vielschichtiger sind als die frühen, sich selbst opfernden Figuren wie Senta und Elisabeth. Bei uns ist diese Elisabeth keine Frau, die nur heilig auftritt, heilig stirbt und dem Mann die Himmelfahrt ermöglicht, sondern eine Frau aus Fleisch und Blut, die sehr dialektisch angelegt ist.

Wenn Sie den Chor der Bayreuther Festspiele im Tannhäuser hören und erleben, spüren Sie da mitunter auch so etwas wie Ehrfrucht vor der Musik? Gänsehaut?
Ehrfurcht? Weniger. Aber Bewunderung und größten Respekt vor der musikalischen Welt, die Wagner entwirft, gerade beim „Tannhäuser“. Mir kommt es so vor, als hätte da jeder Akt in sich noch einmal eine eigene Welt. Während es ansonsten eben einen durchgängigen „Parsifal“-, „Tristan“- oder auch „Holländer“-Grundton gibt.

Kratzer Regie, Sellmaier Bühne/Kostüme, Braun-Video – was zeichnet dieses Team, das ja permanent zusammenarbeitet, aus, was macht es besonders?
Man kann sich viel direkter die Meinung sagen. (lacht)Aber im Ernst: Es gibt ein gewisses Grundverständnis, eine gemeinsame Geschichte, auf die man zurückgreifen kann, und man muss sich über gewisse Dinge einfach keine Gedanken mehr machen. Man steigt also schon eine Stufe weiter in die Arbeit ein. Gefährlich wird es dann, wenn man sich irgendwann gewisse Fragen, die womöglich künstlerisch notwendig wären, nicht mehr stellt. Aber das ist bei den Jungs Gott sei Dank so noch nicht eingetreten. Wir haben immer gesagt: Wenn wir uns wiederholen oder beginnen, uns zu langweilen, dann beenden wir das. Aber an diesem Punkt sind wir noch lange nicht. Unser aller Lust, mit jedem Stück eine neue Ästhetik zu erfinden, hält die Arbeit doch sehr frisch.

Sie halten sich mit konkreten Aussagen zu Ihrer Inszenierung noch sehr zurück. Warum eigentlich?
Weil diese Verschwiegenheit in meinem Vertrag festgeschrieben ist. Das ist deshalb praktisch, weil ich hier in Bayreuth alles auf die Vertragsklauseln schieben kann – und nicht, wie sonst, Bezug nehmen muss auf meinen Aberglauben. (lacht) Man kann noch so viel über seine Arbeit erzählen – entscheidend ist doch, was auf der Bühne entsteht. Deshalb bin ich zumindest vorab eher zurückhaltend.

Einen Versuch aber mache ich gleichwohl: Es kursieren Gerüchte, dass dieser „Tannhäuser“ nicht nur im Saale stattfinden würde …
Das kann ich in der Tat bestätigen. Wenn alles gut geht, wird es das erste Mal sein in der Geschichte der Bayreuther Festspiele, dass eine Bespielung auch in der Pause stattfindet, bei der man auch ohne Kaufkarte vorbeischauen kann. Wer sich also etwa eine Stunde nach dem Beginn im Park am Fuße des Hügels tummelt, der kriegt womöglich auch ein paar Einblicke, was wir hier tun.

Welche Musik hören Sie eigentlich privat – etwa auch nur Wagner?
So gut wie gar keine! Ich höre beruflich derart viel gute Musik, dass ich es im Privatleben vorziehe, die Stille zu genießen.

Gibt es in nächster Zeit weitere Wagner-Pläne, vielleicht sogar in Bayreuth? Sie haben ja ein Viertel der Tetralogie schon durchgearbeitet – wann folgt denn Ihr erster ganzer „Ring des Nibelungen“?
Erstaunlicherweise gibt es bei mir in den nächsten vier Jahren aktuell noch keine Wagner-Pläne. Aber es geht auch mal ohne Wagner.

Welche Überschrift wünschen Sie sich denn in der FAZ zwei Tage nach Ihrer Premiere?
„Nahostkonflikt gelöst“ – natürlich nicht durch meine Inszenierung. Aber es gibt eben viel wichtigere Dinge im Leben als eine Opernpremiere.

Gert-Dieter Meier

 

Die „Tannhäuser“-Besetzung:
Musikalische Leitung:  Valery Gergiev | Regie:  Tobias Kratzer | Bühne und Kostüme:  Rainer Sellmaier | Video:  Manuel Braun | Licht:  Reinhard Traub | Dramaturgie:  Konrad Kuhn | Landgraf Hermann:  Stephen Milling | Tannhäuser:  Stephen Gould | Wolfram von Eschenbach:  Markus Eiche | Walther von der Vogelweide:  Daniel Behle | Biterolf:  Kay Stiefermann | Heinrich der Schreiber:| Jorge Rodriguez-Norton | Reinmar von Zweter:  Wilhelm Schwinghammer | Elisabeth:  Lise Davidsen | Venus:  Ekaterina Gubanova | Ein junger Hirt:  Katharina Konradi

Termine Aufführung „Tannhäuser“
Premiere Donnerstag, 25. Juli | Sonntag, 28. Juli | Dienstag, 13. August | Samstag, 17. August | Mittwoch, 21. August | Sonntag, 25. August | jeweils um 16.00 Uhr

 

Foto: © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele