Bayreuth Magazin - Image-Magazin der Stadt Bayreuth
Menü
Er war immer für mich da
Kultur

Er war immer für mich da

Katharina Wagner zum 100. Geburtstag Wolfgang Wagners

Vor 100 Jahren, am 30. August 1919,  hat Wolfgang Wagner das Licht der Welt erblickt. Der Enkel Richard Wagners und Urenkel Franz Liszts leitete die Festspiele nach ihrer Wiederbegründung im Jahre 1951 bis ins Jahr 2008 – zunächst gemeinsam mit seinem Bruder Wieland Wagner, nach dessen Tod im Jahre 1966 in Alleinregie. Damit bestimmte Wolfgang Wagner länger als jeder oder jede andere die Geschicke der im Jahre 1876 gegründeten Festspiele. Was zeichnete Wolfgang Wagner aus? Was waren seine besonderen Verdienste? Wie war er als Vater? Das fragte Gert-Dieter Meier jemanden, der es wissen muss – Katharina Wagner, die jüngste Tochter Wolfgang Wagners, die seit dem Jahre 2008 Leiterin der Bayreuther Festspiele ist.

Frau Wagner, Wolfgang Wagner war im Bereich Theater eine der prägenden Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts und darüber hinaus. Er hat die Festspiele zur unverwechselbaren Marke gemacht und den Namen Bayreuth in die Welt getragen. Wie war WW denn als Vater?

Es ist ja kein Geheimnis und ich habe es auch schon mehrfach an anderer Stelle gesagt, dass ich eine „Vatertochter“ bin. In meiner Erinnerung war er immer für mich da, gab mir viel Zeit und hatte für mich großzügiges Verständnis. Aber, und dafür bin ich ihm sehr dankbar, er war in keiner Weise das, was man heute als „Helikoptervater“ bezeichnet: Von wirklich früher Kindheit an wurde ich zu möglichst großer Selbstständigkeit erzogen. Er gab mir stets genügend Freiräume, sodass ich nie das irgendwann ja störende Empfinden hatte, von allen Seiten „behütet“ und letztlich eingeengt zu werden. Ich meine, seine große und lange Lebenserfahrung und der Umstand, dass er lange vor meiner Geburt ja schon zwei Kinder großgezogen hatte, haben dabei eine große Rolle gespielt. Ich durfte, ja sollte mich frei entfalten und lernte dadurch auch früh, in gewisser Weise für mich verantwortlich zu sein. Es war das Beste, was mir geschehen konnte.

Gab es denn bei Ihnen auch mal ganz normale Urlaube im trauten Kreis? Oder mussten Sie sich ganz und gar dem Arbeitsrhythmus des Vaters (und später auch beider Elternteile) unterordnen?

Ganz so extrem war es nicht und natürlich gab es auch normale Familienurlaube. Allerdings fielen bei mir in der Kindheit die Sommerferien großenteils aus, denn in dieser Zeit finden ja die Festspiele statt. Insofern musste sich das Private schon einem solchen Rhythmus anpassen. Urlaub wurde dann zu anderer Zeit gemacht. Im Grunde lief vieles wie bei anderen Familien auch, bei denen die Eltern beruflich stark eingebunden sind. Aber ganz generell hatte ich als Kind nicht das Gefühl, mich stets nur unterordnen zu müssen.

Wie lief denn so ein normales Frühstück im Hause Wagner ab? Wurde da schon mal über Regisseure und Sängerinnen diskutiert oder über Journalisten geschimpft? 

Ob beim Frühstück oder überhaupt zu Hause, selbstverständlich diskutierten meine Eltern auch (aber nicht nur oder ausschließlich) zum Beispiel über Regisseure und Sänger, über technische und organisatorische Aspekte usw., das heißt, sie sprachen über ihren Alltag und ihre Arbeit. Dieser Austausch fand immer statt. Ebenso kam es öfters vor, dass Künstler oder andere -Mitwirkende anriefen, weil sie Fragen oder Probleme hatten. Für mich war das als Kind Normalität

Hand aufs Herz: Als weltbekannter Festspielleiter wird man hofiert, umschmeichelt, übern grünen Klee gelobt, von (falschen?) Freunden umlagert. Ihr Vater war ein sehr guter Menschenkenner. Solche Machenschaften hat er doch durchschaut. War ihm, ganz tief drinnen, Anbiederei nicht auch ein Gräuel?

Aber ja! So etwas mochte er gar nicht. Bestenfalls machte er gute Miene dazu und kommentierte solche Anbiederei hinterher manchmal mit seinem Spruch „Es muss auch solche Käuze geben“. Er hat es aber immer sehr schnell durchschaut und wusste sehr gut zu differenzieren, ob ihm jemand seine ehrliche Meinung sagte oder aber nur schmeicheln wollte, um sich lieb Kind zu machen.

WW scherte sich kaum um das Bild, das öffentlich von ihm gezeichnet wurde. Er zelebrierte leidenschaftlich gerne das – sein – fränkische(s) Wesen, bemühte sich auch vor Kameras kaum, hochdeutsch zu reden, witzelte oft. Hatte dieser Mann eigentlich auch Selbstzweifel? Und wenn ja: Sprach er im engsten Kreis darüber?

Er hatte, denke ich, so viele und so sehr unterschiedliche Erfahrungen in seinem Leben gemacht, dass sein Verhältnis zur „Welt“ ein im besten Sinne überwiegend humorvolles war. Man könnte dies auch – vielleicht etwas pathetisch – als Weisheit bezeichnen. Außerdem war er von seinem ganzen Naturell her eine Persönlichkeit, der all das, was er tat und sagte und dachte, bei Weitem nicht für absolut unfehlbar oder vollkommen hielt. Und irgendein Zelebrieren eigener Bedeutsamkeit war ihm völlig fremd, was jedoch nichts daran änderte, dass er sich seiner Souveränität sicher war.

Man hatte den Eindruck, dass WW darunter litt, dass ihm Teile der Öffentlichkeit vorhielten, im Unterschied zum „Künstler Wieland“ eher Baumeister, Praktiker und Intendant zu sein als genialer Regisseur. War das so?

Ich denke, ihn dürfte ehest die grobe Vereinfachung gestört haben, mit der von manchen, auch lange nach Wieland Wagners Tod, beide Brüder gegeneinander ausgespielt wurden. Man hatte oft ein Klischee für den einen wie für den anderen parat, wodurch alles nivelliert und man keinem wirklich gerecht wurde, beiden zusammen erst recht nicht. Inzwischen geht man mit der jeweiligen Lebensleistung der Brüder zum Glück weitaus differenzierter um.

Wir müssen auf die Familie zu sprechen kommen. Teile derselben gingen ja nicht eben zimperlich mit Ihrem Vater um – und er nicht mit Teilen der Familie. Was meinen Sie: Wie sehr litt er unter dem innerfamiliären Zoff? Darunter, dass man ihm vorhielt, seinem früh verstorbenen Bruder künstlerisch nicht das Wasser reichen zu können?

Das alles ist, mit Verlaub, der sprichwörtliche Schnee vom vergangenen Jahr. Das Meiste ist mir auch nur aus Überlieferung und gleichsam aus der Ferne bekannt geworden. Dagegen darf ich jedoch sagen, dass heute und jetzt alle Streitigkeiten beigelegt sind, nichts wechselseitig Belastendes im Raum steht. 

Was sehen Sie denn, ganz persönlich, als die wichtigsten Verdienste Ihres Vaters an? Was haben Sie, für sich, von ihm abgeguckt? Und was wollen Sie gegebenenfalls ganz bewusst nicht übernehmen?

Die wichtigsten Verdienste meines Vaters dürften von heute aus gesehen sein, dass er zusammen mit seinem Bruder die Bayreuther Festspiele nach dem Zweiten Weltkrieg künstlerisch, organisatorisch, ideell und nicht zuletzt auch materiell neu begründete und nachmals immer mehr stabilisierte. Dass er an der Errichtung der Richard-Wagner-Stiftung entscheidend beteiligt war. Und seine Haltung, dass er seine eigenen ästhetisch-künstlerischen Maßstäbe nicht zum Maßstab aller Dinge machte, sondern Bayreuth weit öffnete für eine Vielzahl höchst unterschiedlicher ästhetischer „Handschriften“. Sicherlich ging er persönlich nicht mit allem konform, aber er respektierte grundsätzlich andere Auffassungen und künstlerische Ansätze, setzte sich damit auseinander, nahm sie ernst und versuchte dann immer, für jede Produktion die optimalen Bedingungen zu schaffen, damit sie erfolgreich werden konnte.

Niemand kannte die Festspielgeschichte, das Haus, die Akustik, die Szene besser als WW. Hat er Ihnen als Tochter vieles überliefert, das Ihnen heute noch hilft? 

Unbedingt und ganz klar ja. Das darf man sich allerdings nicht im Sinne von irgendwelchen „Lektionen“ vorstellen, sondern das geschah durch Fragen und Antworten, aber oft auch durch kleine Neben- oder Randbemerkungen in konkreten Situationen. Durch meinen Vater habe ich das Festspielhaus mit all seinen Besonderheiten, seinen Vorzügen, Eigenarten und Schwierigkeiten nicht bloß kennengelernt, vielmehr begriffen und verstanden. Dieses Wissen hilft mir sehr, mit den -Herausforderungen und zuweilen auftretenden Problemen bei neuen Inszenierungen realistisch und produktiv umgehen zu können.

Hatten Sie schon mal das Gefühl, dass Sie eigentlich noch ein Buch über den Vater schreiben sollten, weil längst noch nicht alles über WW gesagt ist?

Bestimmt ist längst noch nicht alles über meinen Vater gesagt und geschrieben worden. Sein 100. Geburtstag ist ein guter Anlass, um über ihn und seine Leistung in und für Bayreuth nachzudenken. Aber ob ich ein Buch über ihn schreibe … das lassen wir mal dahingestellt sein, denn zurzeit habe ich ziemlich viele andere Aufgaben, die meinen ganzen Einsatz und meine volle Energie erfordern.

Gert-Dieter Meier

Zur Person

Wolfgang Wagner war ein echter Bayreuther. In seiner Heimatstadt wurde er respektvoll „Herr Wolfgang“ genannt. Die Menschen schätzten „ihren“ Festspielleiter, der samstags auch selbst zum Einkaufen in den Gemüseladen ging und häufig zu einem Scherz aufgelegt war. Gemeinsam mit seinem Bruder Wieland verantwortete er 435 Aufführungen bei den Bayreuther Festspielen. Als alleiniger Festspielleiter brachte er es auf unglaubliche 1.268 Aufführungen – das sind deutlich mehr als alle sonstigen Festspielleiter gemeinsam. Wolfgang Wagner wurde am 30. August 1919 in Bayreuth geboren; hier starb er auch, am 21. März 2010.