Hinkommen – reinkommen – zurechtkommen
Bereits seit 2012 darf sich Bayreuth stolz „barrierefreie Stadt“ nennen, eine Auszeichnung, die für das Engagement und die konsequente Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention steht. Im Herzen dieser Bemühungen steht Bettina Wurzel, die seit 2006 als Behindertenbeauftragte im Rathaus tätig ist. Zusammen mit Margit Lebershausen, deren Stelle für Inklusion 2019 geschaffen wurde, und dem Behindertenbeirat setzt sie sich für ein barrierefreies Bayreuth ein. Die Umsetzung des Aktionsplans Inklusion setzt sich zum Ziel, die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen in allen Bereichen ohne fremde Hilfe zu ermöglichen.
Barrierefreiheit: Ein Gewinn für alle
Von Geh-, Hör- und Sehbehinderungen bis hin zu geistigen Beeinträchtigungen – Behinderte stehen vor vielfältigen Herausforderungen. Eine barrierefreie Umwelt kommt nicht nur den fast 14.000 Menschen mit Behinderungen in Bayreuth zugute, sondern auch Senioren mit Rollatoren, Eltern mit Kinderwagen und den vielen anderen, die nach einem Unfall zeitweise Unterstützung benötigen. Selbst für nichtbehinderte Reisende mit Rollkoffern sind die Maßnahmen für Barrierefreiheit ein Gewinn.
„Oft merkt man die Einschränkung erst, wenn man selbst ein Handicap hat“, erzählt Bettina Wurzel. Eine wichtige Aufgabe ist daher die Sensibilisierung der Öffentlichkeit. Durch Aufklärung und gezielte Aktionen wird das Bewusstsein für die Belange von Menschen mit Behinderungen geschärft. Dies führt nicht nur zu mehr Verständnis, sondern auch zu einer Kultur des Miteinanders, in der Barrieren – sowohl physische als auch mentale – abgebaut werden.
Barrierefreiheit beginnt im Kopf
Ein Umdenken der Gesellschaft muss schon bei den Kindern anfangen. Seit 2023 läuft ein Schulprojekt zur Aufklärungsarbeit: der „Inklusionsführerschein“. In sechs Unterrichtseinheiten lernen Schüler neben der Theorie auch anhand praktischer Beispiele. Die Jugendlichen können durch diesen Perspektivwechsel die Herausforderungen eines Rollstuhlfahrers selbst ausprobieren. Diese Erfahrung wird durch persönliche Geschichten Betroffener ergänzt.
Rollstuhlbasketball macht Schule
Der Bayreuther Rollstuhl-Basketballverein setzt auf die integrative Kraft des Sports. Mit dem Projekt „Rollstuhlbasketball macht Schule“ wird Inklusion aktiv gelebt. Ziel ist, das Bewusstsein für Sportangebote für Menschen mit Behinderung zu steigern und ein Netzwerk aus Sport, Verein und Schule zu schaffen, das sowohl Menschen mit als auch ohne Handicap einbezieht.
Im Sportunterricht erleben Schülerinnen und Schüler Rollstuhlbasketball hautnah, indem sie selbst in den Rollstuhl steigen und das Spiel ausprobieren. Dagmar van Hinte begleitet das Projekt „Rollstuhlbasketball macht Schule“. „Am Anfang sind die Schüler noch zurückhaltend, doch der Spaß am Spiel überwindet schnell alle Barrieren. Am Ende wollen die Jugendlichen den Rollstuhl oft gar nicht mehr wieder hergeben.“ Die 27-jährige Niederländerin zog vor zwei Jahren her, um das Rollstuhlbasketball-Team zu verstärkenn
Rollstuhlbasketball im Sportunterricht bringt den Jugendlichen spielerisch das Thema Inklusion näher
Wird der blauf Knopf gedrückt, hilft der Busfahrer beim Ausklappen der Rampe für Rollstühle, Rollatoren oder Kinderwagen
Gemeinsam für eine inklusive Stadt
Dagmar van Hinte freut sich über den rollstuhlgerechten Ausbau der Stadt. „Gerade in der Innenstadt ist alles leicht erreichbar für mich. Man merkt, dass das Thema Barrierefreiheit eine hohe Priorität für die Stadt hat.“
Ein zentrales Element der Inklusionsagenda in Bayreuth war von Anfang an die enge Kommunikation mit den Betroffenen. Diese haben in der Stadt eine Anlaufstelle, wo sie Probleme melden und Verbesserungsvorschläge einbringen können. So wird sichergestellt, dass die Maßnahmen, die im Stadtrat verabschiedet werden, den tatsächlichen Bedürfnissen entsprechen.
Es geht um viel mehr als nur die Vergabe von Behindertenparkplätzen. Diese sind sicherlich ein wesentlicher Nachteilsausgleich, der Menschen mit Behinderungen eine selbstbestimmte Teilhabe am öffentlichen Leben ermöglicht. „Barrierefreiheit bedeutet, dass alle hinkommen, reinkommen und zurechtkommen“, fasst Bettina Wurzel zusammen.
Immer wieder macht sie sich ein Bild bei Ortsbegehungen, um dann Empfehlungen an die Bauträger auszusprechen. Der engagierte Behindertenbeirat, bestehend aus vielen selbst betroffenen Ehrenamtlichen, arbeitet in verschiedenen Arbeitsgruppen an einer barrierefreien Zukunft für alle. Alle zwei Wochen findet im Rathaus eine offene Beratung statt, zu der jeder mit allen Anliegen kommen kann. Die Webseite, die zu den Treffen einlädt, ist in einfacher Sprache gehalten und der Zugang zu den Räumen ist barrierefrei – dazu gibt es auch leckeren Kaffee.
Holpriger Weg zur Inklusion
Einen Kompromiss zu finden, ist manchmal nicht so einfach. Viele Altstädte, darunter auch Bayreuth, sind geprägt von Kopfsteinpflaster, das zu einer Zeit verlegt wurde, als Barrierefreiheit noch kein Thema war. Selbst beim Bau des Klinikums Bayreuth wurden die Treppenumfahrungen anfangs kleinteilig gepflastert. Inzwischen wurde die Rampe für Geh- und Sehbehinderte optimiert und vom Behindertenbeirat für gut befunden.
Denkmalschutz trifft Inklusion
Historische Gebäude stellen stets eine besondere Herausforderung dar. Der Umbau, inklusive barrierefreier Lösungen, erfordert oft Fingerspitzengefühl. Bei der Stadtkirche wurde unter Berücksichtigung des Denkmalschutzes ein barrierefreier Zugang zum Hintereingang geschaffen. Der neue Weg aus großen, glatten Steinplatten fügt sich harmonisch in das historische Gesamtbild ein. Er führt einmal rund um die Kirche und ist so verlegt, dass er für Rollstuhlfahrer und Menschen mit Mobilitätseinschränkungen leicht befahrbar ist.
Auch die Stadthalle – das Friedrichsforum – berücksichtigt Barrierefreiheit beim Umbau. Für Blinde wird es ein 3-D-Modell zur Orientierung im Eingangsbereich geben. Für Menschen mit einer Hörbehinderung gibt es Induktionsschleifen in den großen Veranstaltungsräumen oder entsprechende Endgeräte. Eine „Toilette für alle“, inklusive Behindertentoilette mit Liege und Lifter, ermöglicht auch ein Wickeln entsprechend behinderter Menschen. Und auch an eine barrierefreie Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln wurde gedacht.
Neues Nahverkehrskonzept
Im Fokus des Nahverkehrskonzepts steht der barrierefreie Ausbau der Bushaltestellen. Bereits letztes Jahr begann die Stadt mit der Priorisierung und Modernisierung von Haltestellen, um sie für alle Bürger zugänglich zu machen. Bis zu drei Haltestellen werden jährlich umgebaut. Mit Blindenleitsystemen, abgesenkten Bürgersteigen und barrierefreien Bordsteinkanten werden die Bushaltestellen für Menschen mit Behinderungen, ältere Menschen und Familien mit Kinderwagen zugänglich gemacht. Die Stadtwerke sorgen dafür, dass nur barrierefreie Busse angeschafft werden, um einen reibungslosen Ein- und Ausstieg zu gewährleisten.
Zusätzlich werden Busfahrer im Umgang mit mobilitätseingeschränkten Fahrgästen geschult. Und auch Betroffene werden eingeladen zu speziellen Infotagen, an denen sie sich zum Beispiel mit den Grundregeln für Sicherheit im Busverkehr, dem Kartenverkauf oder den Busfahrplänen vertraut machen können. Verschiedene Bushaltestellen werden angefahren und ein Dialog zwischen Fahrgästen und Busfahrern ermöglicht ein besseres gegenseitiges Verständnis.
Kreative Leitsysteme für Blinde
Das Rinnla in der Fußgängerzone ist selbst für viele Sehende eine Herausforderung. Die weißen Rillen in der Pflasterung erleichtern es Blinden und Sehbehinderten, sicher durch die Fußgängerzone zu navigieren. Viele Menschen rätseln über die Bedeutung dieser Bodenbeschaffenheit, ohne zu wissen, dass sie für blinde Menschen essenziell ist. Unbedarft stellen sie Fahrräder oder Werbeaufsteller dort ab. Um die Öffentlichkeit zu sensibilisieren und die Funktion des Blindenleitsystems sichtbarer zu machen, wurden daher Blindenlogos aufgesprüht. Geschäfte und Einrichtungen entlang der Fußgängerzone sind aufgerufen, sich in Form einer Patenschaft zu engagieren und die Freihaltung des Leitsystems aktiv zu unterstützen.